Was bedeutet mir die Kunst?
Die Kunst eröffnet mir andere Blickwinkel – ich sehe, staune und begreife Dinge in ihrer anderen Realität. Sie fügt meiner Weltsicht Aspekte hinzu, verändert meine Meinung und gibt ihr Kraft.
Fast zwangsläufig hat die Auseinandersetzung mit der Kunst, in all ihren Facetten, meine eigene Kreativität geweckt. Ich habe große Freude am Schaffen eines Werkes, egal ob es mit Hilfe von Pinsel und Farbe, aus einem Klumpen Ton oder gar unter Verwendung von Hammer und Nagel entsteht. Der Prozess der Entstehung ist mir oft wichtiger als das Ergebnis selbst, die Reise zum Ziel ist für mich Entdeckungsreise und Abenteuer zugleich.
Mittels der Malerei empfinde ich die Umsetzung eines Denkprozesses, der aus meiner Wahrnehmung heraus entsteht. Ich sehe, höre, rieche, schmecke, fühle – spüre meinen Sinnen nach und versuche dem Ergebnis meine bewussten – ja vielleicht sogar unbewussten Wahrnehmungen – Raum auf einer Leinwand zu geben. Bilder sind für mich Reflektion, ein Spiegelbild meiner Gedanken und Gefühle und eröffnen mir dabei unerwartete Aspekte meines eigenen Selbst.
Wie bin ich zur Malerei gekommen?
Die Begegnung mit den großen Künstlern dieser Welt und die Auseinandersetzung mit ihren Werken in vielen Museen, unter anderem in Paris, haben mir zunächst einmal sehr imponiert. Sie haben mich jedoch auch motiviert, mich selbst auf meine eigene Entdeckungsreise mit Pinsel und Farbe zu begeben. Das Studium „Freie Malerei und Grafik“ an der Kunstakademie im Drostehaus Verl hat mir dazu verholfen meinen eigenen künstlerischen Weg zu finden. Ich habe gelernt darüber nachzudenken, wie ich ein Bild komponiere um den Betrachter neugierig auf meine Weltsicht zu machen. Darüber hinaus habe ich viele neue Techniken künstlerischen Schaffens entdeckt um meine handwerklichen Fähigkeiten vervollkommnen zu können.
Migration und Integration – Mein persönliches Thema
Ich sehe die Realität in der wir leben. Natürlich sehe ich sie auf meine Weise, geprägt durch meinen kulturellen Hintergrund und durch meine persönliche Lebenserfahrung. Eigentlich beinhaltet mein Name das Thema mit dem ich mich primär auseinandersetze: Ein typisch türkischer Vorname verbunden mit einem typisch deutschen Nachnamen – Serpil Neuhaus! Das Rechtschreibprogramm meines PCs erkennt das Wort „Serpil“ nicht, hat aber nichts gegen das Wort Neuhaus. Ein türkisches Rechtschreibprogramm würde es sicher umgekehrt deuten. Dieses „nicht erkannt“ werden, macht meine kulturelle Herkunft deutlich: Ich werde vorrangig nicht als Mensch mit meinen eigenen Fähigkeiten wahrgenommen, sondern in erster Linie als Türkin. Ich bin in der Türkei aufgewachsen und als junges Mädchen nach Deutschland gekommen. Nach der gescheiterten Ehe mit einem türkischen Mann habe ich meinen deutschen Mann kennen- und lieben gelernt. Ich habe die deutsche Sprache erlernt und in Deutschland mehrere Ausbildungen abgeschlossen. Ich bin mit der deutschen Kultur verbunden, dennoch liegen meine kulturellen Wurzeln in der Türkei. Integration? …Ist dies Integration?
Ein Blick auf das Kopftuch
Es gibt muslimische Frauen, die sich selbstbewusst und aufrichtig für ein Leben in Deutschland mit Kopftuch entschieden haben. Lebensrealität ist aber auch, dass muslimische Frauen unreflektiert oder gar aufgezwungen durch Kultur, Religion, Ehemänner oder Väter ein Kopftuch tragen. Das Kopftuch muslimischer Frauen wird mit vielen Haltungen und Einstellungen verbunden. Das was ich sehe, ist ein Tuch, das in sehr streng geordnete Falten gelegt, das gesamte Kopfhaar bedeckt. Es kann schützen – aber es kann auch einengen. Das Kopftuch muslimischer Frauen wird auch von Menschen mit einer toleranten Einstellung mit ambivalenten Gefühlen betrachtet. Häufig polarisiert es Meinungen. Die einen die es mit Überzeugung tragen, die anderen, die es mit ebensolcher Überzeugung ablehnen.
Was steckt unter den Falten eines muslimischen Kopftuches?
Gefühle wie Stolz, Verbundenheit mit dem Islam, Freude?
Der Schutz vor der Außenwelt – ein Zeichen von Abgrenzung?
Gefühle wie Furcht, Trauer, Zwang?
Können und dürfen Frauen mit Kopftuch unter diesen Falten ihre Gefühle reflektieren?
Können und dürfen Frauen mit Kopftuch sich unter diesen Falten weiterentwickeln?
Diese Inspirationen kann ich unbegrenzt malen. Malen durch die Nacht, bis meine Augenlieder zufallen. Aber es ist gut so. Ich fühle mich freier. Es ist, als würde ich endlich Ausdruck finden für alles was mich beschwert, als würden meine Gedanken durch den Pinsel auf die Leinwand fließen und mich erleichtern.
Gleichzeitig habe ich einen Wunsch:
Dass meine Bilder anregen sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen.
Dass sie dazu verleiten sich Gedanken zu machen. Sie sollen nicht die eine oder andere Überzeugung festigen, sondern zunächst die Komplexität dieses Themas greifbar machen. Das ist auch der Grund dafür, dass die meisten meiner Bilder titellos sind. Meine Arbeiten sollen zum Nachdenken anregen. Jedes Bild soll ein Aspekt eines einzigen Themas sein und die Polarisation aufheben. Das türkische Kopftuch ist an sich nicht Ausdruck etwas Gutem oder etwas Schlechtem. Was jeder mit seiner eigenen Persönlichkeit daraus macht ist Thema meiner Arbeit.